Heimkommen

Der wahre Kulturschock nach den Ferien


Wenn man aus Ferien im Süden heimkommt, neigt man unwillkürlich dazu,

jenes Lebensgefühl, jenes je ne sais quoi (joie de vivre vielleicht?) zu romantisieren – und zu ignorieren, dass das Leben dort oft alles andere als leicht ist. Schliesslich gehört mehr dazu als eine Strandpromenade oder eine Gastroszene, die wie in Schweizer «Grossstädten» beim ersten Sonnensstrahl rausstuhlt und den Aperol irgendwelchen Schickimickis serviert, die sich schampar mediterran geben. Weit mehr.

Zu spüren bekommen haben wir das eben bei unsrer Rückkehr aus Marseille – einem grossartigen, 37 Grad heissen, stinkenden Schmelztiegel, in dem die verschiedensten Menschen, vom Meer zusammengehalten, nicht bloss neben-, sondern miteinander leben. Wir spürten es, als am Bahnhof der Zollbeamte mir, braun, unrasiert und in Olympic-Trainerhosen wie ich dastand, seinen Profiler-Blick zuwarf und gleich die Röntgenmaschine zur Prüfung des Gepäcks anwarf. Und wir spürten es auch, als im Postauto mein Koffer versehentlich die Schuhspitze einer Gouvernante touchierte, worauf sie in wortloser Bitterkeit erstarrte, während ein Kretin hinter mir einen zweiten ungeschickten Mitpassagier aufs Übelste beschimpfte. (Zum Vergleich: Als in einem völlig überfüllten Bus mitten in Marseille eine Auseinandersetzung gar handgreiflich zu werden drohte, ist der Chauffeur auf die Bremse getreten und hat klargestellt, dass er erst weiterfahren würde, wenn sich Messieurs dames beruhigt hätten. Wir sind allesamt heil angekommen, c’est la vie.)

Lässt sich deutlicher zu verstehen geben, woher das Misstrauen, die Missgunst und die meiste Angst hierzulande rührt? Von der verfluchten Wohlstandsverwöhntheit: nur nichts teilen müssen, weder das Geld noch den Raum, ja nicht mal einen gemeinsamen Traum. Besonders dagegen gilt es im Alltag anzukämpfen, sag ich mir – gegen die Verwöhntheit wohlgemerkt, nicht den Wohlstand. Bevor man sich bis zu den nächsten Ferien schon wieder dran gewöhnt hat.



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