Reality-Check-in


Fasten your seatbelts. Der Höllenritt hat erst begonnen. Und das ist so ziemlich das Einzige, was fest steht.

Dennoch sind sie zum Jahresstart immer wieder besonders beliebt: die Vorhersagen angeblicher Expertinnen und Experten, die das Weltgeschehen kommentieren, als wäre es eine Sportveranstaltung – von den Siegchancen einer Initiative («No»? oder «No so denn»?) über das Kriegsrisiko mit Nordkorea («Sagen wir, hm, 30 Prozent. Von den 30 Millionen möglichen Toten sprechen wir, wenn’s so weit ist …») bis hin zur Preisfrage, was den 45. Präsidenten der USA zu Fall bringen könnte («Die Russen!», «Die Frauen!», «Der Zaster!»).

Es ist ein einziges Wettbüro. Aufregend fiebrige Stimmung, minütlich aktualisierte Quoten. Einige wenige machen auch hübsch Geld – während alle anderen verlieren, ohne dass es sie kümmert.

Da will ich mich gar nicht als Spielverderber aufführen … Aber bittte! Ein bisschen Realitätssinn wär schon nett. Denn nicht nur, dass man in den meisten Fällen grad so gut würfeln könnte. Meist hat die ganze Aufregung schlicht und ergreifend nichts mit dem gelebten Leben zu tun.

Trumpolini zum Beispiel. Er könnte mitten auf der Pennsylvania Avenue seiner Grossmutter ins Portemonnaie grabschen und seiner Tochter an den Hintern – live übertragen von Dutzenden (Online-)Kanälen –, und es hätte wohl einen vernachlässigbaren Einfluss auf seine Umfragewerte. Trotz Videos, Tweets und #MeToo, die Erfahrung hat gezeigt: Egal, was an den Tag gebracht wird, im Paralleluniversum seiner Anhänger, wo dauernd apokalyptische Nacht hereinzubrechen droht, ist und bleibt ER die radioaktiv strahlende Lichtgestalt. Ja, so sehen das halt all die armen weissen entmannten Männer und Frauen.

Um da nicht den Verstand zu verlieren, gilt es drei Punkte im Kopf zu behalten, möglichst gleichzeitig.

  1. Skandale setzen voraus, dass sich auch tatsächlich jemand schämt. Sie verpuffen folgenlos, wenn Schamlose sich gütlich tun, während die Lakaien ringsum, bei allem Schamgefühl, lediglich den Blick senken und sich weiter die eignen Taschen füllen.

  2. Medien normalisieren das Abnormale und umgekehrt. Zumal Medienschaffende zwar gerne den Mörder nebenan beim Namen nennen, nicht aber die Hetzer und Lügner unter den Machthabern. Man will schliesslich keinesfalls den Ruf als unparteiische/r Kommentator/in aufs Spiel setzen.

  3. Für Checks und Balances gibt es keine Garantien. Sie funktionieren nur, wenn das Stimmvolk checkt, was läuft, und die Volksvertreter anhält, die Interessen auszubalancieren. Dies gehört nebst den Rechten übrigens zu den demokratischen Pflichten.


In anderen Worten: Ich sollte mir im täglichen Empörungs- und Rechthaberwettbewerb besser die Spucke sparen. Wer einen Unterschied in der Welt bewirken und etwas verändern will, muss die positiven sowie negativen Energien nicht bloss provozieren, sondern auch mobilisieren und kanalisieren. Für jede einzelne Ja- oder Nein-Stimme, die wirklich zählt.

Klingt platt, ist aber hart. Und doch weit weniger hart als eine unsanfte Landung auf dem Boden der Realität.



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